Was macht ein gutes Leben aus? Ist es einfach nur ein Leben ohne Sorgen oder ohne Symptome? Oder steckt am Ende mehr dahinter? Und fällt es vom Himmel oder kann ich
es auch aus mir heraus gestalten?
Die bekannte Psychoanalytikerin Nancy McWilliams gibt uns zehn Schlüsselkonzepte an die Hand, die zeigen, wie Psychotherapie dabei helfen kann, ein erfüllteres und stabileres Leben zu führen.

1. Mit Sicherheit und Bindung - mein Zuhause im Herzen tragen
Jeder Mensch braucht das Gefühl, irgendwo sicher zu sein – nicht nur körperlich, sondern vor allem auch emotional. Wenn wir uns in unseren Beziehungen aufgehoben,
gesehen und verstanden fühlen, haben wir ein stabiles Fundament für unser ganz persönliches "Abenteuer Leben".
Was brauche ich dazu?
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Vertrauen entwickeln – andere Menschen nicht als Bedrohung, sondern als Unterstützung zu sehen und auch nutzen zu können.
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Emotionale Sicherheit kann durch eine liebevolle Beziehung (über mindestens fünf Jahre) oder durch eine intensive tiefenpsychologische Therapie (mindestens zwei
Jahre) wachsen, die sog. Earned
Security.
2. Selbstkontinuität - sich selbst erkennen

„Erkenne dich selbst“ stand einst über dem Orakel zu Delphi. Nun gibt es unterschiedliche Deutungen zu dieser göttlichen Mahnung.
Die im psychologischen Sinne passende wäre sicherlich, die Selbsterkenntnis zum Ausgangspunkt für eine Einsicht in Entwicklungsmöglichkeiten zu machen.
Wer bin ich? Wer war ich als Kind? Wo will ich hin? Manche Menschen fühlen sich in unterschiedlichen Lebenssituationen wie eine völlig andere Person. Das kann verwirrend und belastend sein.
Was brauche ich dazu?
- Ein stabiles Identitätsgefühl (psychisch und körperlich) aufbauen.
- Die eigene Vergangenheit und Zukunft als zusammenhängende Geschichte erleben.
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Den eigenen Körper annehmen und ihn nicht als etwas Fremdes betrachten ("ich bin mein Körper" und nicht "ich habe einen Körper")
3. Handlungsfähigkeit - das Steuer in der Hand (be)halten
Ein gutes Leben bedeutet, die Entscheidungen in meinem Leben bewusst zu treffen, anstatt nur auf äußere Umstände zu reagieren.
Was brauche ich dazu?
- Eigene Wünsche und Bedürfnisse wahrnehmen.
- Nicht nur passiv durchs Leben treiben lassen.
- Verantwortung für das eigene Leben übernehmen.
4. Ein gesundes Selbstwertgefühl - weder zu hoch noch zu tief
Ein stabiles Selbstwertgefühl bedeutet, sich weder für den Mittelpunkt der Welt noch für völlig wertlos zu halten. Das Leben wird Herausforderungen bereithalten,
die manchmal fordern oder auch zeitweise überfordern. Menschen mit einem gesunden Selbstwert sind in der Lage, flexibel zu reagieren, können sich Hilfe holen und nach einer Krise wieder ins
Gleichgewicht zurück finden.
Was brauche ich dazu?
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Sich selbst realistisch einschätzen zu können.
- Kritik und Lob annehmen, ohne daran zu zerbrechen.
- Sich unabhängig von der Meinung anderer wertvoll fühlen.
5. Resilienz - mit Strümen umgehen können

Eine sichere Bindung in der Kindheit ist der beste Nährboden für Resilienz. Sie schützt uns biologisch vor Stress, so dass wir als Erwachsene den Anforderungen gewachsen sind, die das Leben uns bietet.
Lesen Sie dazu auch gerne meinen Artikel zur Stress-Hyper-Response-Periode und den Folgen von sicherer vs. unsicherer Bindung.
Was brauche ich dazu?
- Emotionen regulieren können – nicht jede Krise bedeutet das Ende.
- Stressbewältigung durch Humor, Kreativität oder Reflexion.
- Traumata verarbeiten, ohne daran zugrunde zu gehen.
6. Reflexionsfähigkeit - über sich selbst tief nachdenken können
Tiefes Denken: Warum reagiere ich so? Warum verletzt mich etwas so stark? Bin ich verletzt oder eigentlich wütend? Was könnte mein Anteil an dem Konflikt sein? Was wollte ich unbewußt mit meinem Verhalten erreichen? Wo sabotiere ich mich selbst und die Beziehung zu anderen?
Wer die unbewussten Motive für das eigene Handeln in der Tiefe erkennt und versteht, kann auch andere besser verstehen. Dies ist die wahre Basis für eine bessere
Kommunikation in Beziehungen.
Was brauche ich dazu?
- Eigene Reaktionen hinterfragen.
- Perspektiven anderer Menschen nachvollziehen und akzeptieren.
- Sich selbst mit mehr Mitgefühl betrachten.
7. Balance zwischen Ich und Wir - der Grundkonflikt der Nähe
Ein gutes Leben bedeutet, sich selbst zu behaupten, aber auch für andere da zu sein. Die zentrale Frage dabei ist: "Kann ich den „eigenen Kurs“ halten, auch wenn geliebte Personen von mir verlangen, mich anzupassen?"
Was brauche ich dazu?
- Eigene Interessen vertreten, ohne rücksichtslos zu sein.
- Ein Gespür für soziale Verantwortung entwickeln.
- Sich nicht in einem Extrem verlieren – weder total egoistisch noch völlig selbstaufopfernd sein.

8. Vitalität - mit Freude durch's Leben tanzen
Manche Menschen fühlen sich innerlich wie „tot“. Sie haben ihre Begeisterung für das Leben verloren. Ein gutes Leben bedeutet, sich wieder lebendig zu fühlen.
Genießen zu können, lustvoll zu sein, sich körperlich begehrt zu fühlen und zu begehren.
Was brauche ich dazu?
- Freude an den kleinen Dingen und am eigenen Körper wieder entdecken.
- Neugierig bleiben.
- Leidenschaften für mich selbst und mit anderen pflegen.
9. Akzeptanz - Frieden schließen mit dem, was ist
Nicht alles im Leben lässt sich ändern. Ein gutes Leben bedeutet, Dinge anzunehmen, die außerhalb der eigenen Kontrolle liegen.
Was brauche ich dazu?
- Traumata oder schwierige Erfahrungen verarbeiten.
- Nicht in Wut oder Trauer stecken bleiben.
- Dankbarkeit entwickeln für das, was schon jetzt gut ist.
10. Entwicklung - zu wachsen und sich zu verändern ist der Weg
Mit einer Flucht nach vorne legt man auch Strecke zurück, sie ist häufig aber nur ein Überlebensimpuls. Gesunde Entwicklung geht langsam und ist manchmal
anstregend. Sie ist ein lebenslanger Prozess.
Ein gutes Leben bedeutet nicht, schnell die Probleme loszuwerden oder Symptome zu reduzieren, sondern zu wachsen. Dieser Prozess geht nur, wenn ich mich selbst mitnehme, wenn ich langsam an meiner Seite Schritt für Schritt - getragen von einer sicheren (therapeutischen) Beziehung - vorwärts gehe. Veränderung kann anfangs beängstigend sein, führt aber langfristig zu mehr Zufriedenheit.
Eine tiefenpsychologische Therapie kann nicht nur helfen, Symptome zu lindern, sondern die Lebensqualität zu verbessern und die individuellen Potenziale zu entfalten.
