Erarbeitete sichere Bindung: Wie Sie Ihren unsicheren Bindungsstil verändern können

Unser Bindungsstil entsteht früh im Leben, geprägt durch die Art und Weise, wie unsere Bedürfnisse in der Beziehung zu unseren Eltern, bzw. den primären Bezugspersonen, erfüllt werden. Diese frühen Bindungsmuster bleiben oft ein Leben lang stabil.

 

Aber bedeutet das, dass wir mit einem unsicheren Bindungsstil festgelegt sind, wenn unsere Kindheit von Ablehnung, Unsicherheit oder traumatischen Erfahrungen geprägt war?

 

Die gute Nachricht ist, dass unser Gehirn und unser Körper generell die bemerkenswerte Fähigkeit besitzen, sich durch wiederholte positive Erfahrungen neu zu organisieren. Gesunde Beziehungen können uns helfen, frühe unsichere Bindungen zu heilen und in einen sicheren Bindungsstil umzuwandeln. Dieser Prozess wird von Experten als „erarbeitete sichere Bindung“ bezeichnet.

 

Wie ensteht sichere Bindung?

Ein sicherer Bindungsstil gilt als die gesündeste Form der Bindung und bildet die beste Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung und einen guten Start in das große Abenteuer Leben.

 

Eltern, die in der Lage sind, eine sichere Bindung anzubieten, trösten ihr Kind ganz natürlich in schwierigen Momenten und bieten viel Körperkontakt an. Sie ermutigen es gleichzeitig immer wieder selbstständig die Welt zu entdecken. Dadurch lernt das Kind, dass es anderen vertrauen kann, die Welt ein sicherer Ort ist und es selbst kompetent und wertvoll ist.

 

Auf diese Weise können Kinder diesen Stil entwickeln und fühlen sich von ihren Bezugspersonen beschützt und unterstützt. Sie nutzen ihre Eltern oder andere sichere Bezugspersonen als „sicheren Hafen“, von dem aus sie die Welt erkunden und zu dem sie bei Bedarf zurückkehren können, um sich Trost und Unterstützung zu holen.

Die Welt durch die Brille der Bindungsunsicherheit

Unsichere Bindung hingegen entsteht, wenn ein Kind das Gefühl hat, dass seine Bedürfnisse nicht verlässlich erfüllt werden. Solche Kinder erleben keine stabile emotionale Verbindung zu ihren Bezugspersonen, da diese emotional abwesend, überfordert, sehr ängstlich, aggressiv oder sogar psychisch oder physisch übergriffig sind. Sie speichern diese stressreichen frühe Erfahrungen als negative mentale Repräsentationen ab, die später prägen, wie sie ihre Beziehungen wahrnehmen.

 

Menschen mit einem unsicheren Bindungsstil schauen auf die Welt wie durch eine verschleierte Brille. Sie empfinden und bewerten Menschen und Situationen geprägt durch diesen Filter, der gefärbt wurde durch die Erlebnisse ihrer Kindheit. Oft haben sie bereits damals gelernt, dass andere nicht vertrauenswürdig sind, die Welt gefährlich ist und sie selbst nicht „gut genug“ sind. Und durch diese so eingefärbte Brille blicken sie heute noch.

 

Der Stress in der Kindheit kann später auch gesundheitliche Folgen haben wie z.B. Suchterkrankungen, Depressionen oder Angststörungen sowie wiederholte Beziehungsprobleme oder Konflikte am Arbeitsplatz.

 

Erarbeitete sichere Bindung

Erarbeitete sichere Bindung beschreibt die Möglichkeit, diesen unsicheren Stil durch spätere sog. wiedergutmachende Erfahrungen in einen sicheren zu verwandeln.

 

Menschen mit erarbeiteter Sicherheit haben in der Regel schwierige frühe Bindungserfahrungen gemacht, entwickeln später jedoch viele Merkmale eines sicheren Bindungsstils. Sie fühlen sich wohl in emotionalen Beziehungen, haben ein positives Selbstbild und finden ein gesundes Gleichgewicht zwischen Nähe und Unabhängigkeit.

 

Der Unterschied zwischen kontinuierlich sicher gebundenen Menschen und solchen mit erarbeiteter Sicherheit zeigt sich oft in der Art, wie sie über ihre Kindheit sprechen.

 

Menschen mit kontinuierlicher Sicherheit können ihre Erfahrungen klar und differenziert schildern, da sie keine bzw. wenige belastende Kindheitserinnerungen verarbeiten müssen. Menschen mit unsicherem Bindungsstil haben oft Schwierigkeiten, ihre frühen Erfahrungen zu ordnen, da diese von emotionalem Schmerz, Traumata oder ungelösten Konflikten geprägt sind. Oft haben sie gar keine Erinnerung an ihre Kindheit oder es war einfach alles nur "gut", ohne genau benennen zu können, was "gut" war.

 

Menschen mit erarbeiteter Sicherheit hingegen entwickeln eine ausgewogene und realistische Sicht auf ihre Kindheit. Sie sind in der Lage, sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte zu erkennen und zu akzeptieren.

Schutzfaktor Bindungssicherheit: diese zu erarbeiten lohnt sich!

Diese Fähigkeit, eine neue Perspektive auf die Vergangenheit zu gewinnen, hat weitreichende Auswirkungen, vor allem für die nächste Generation.

 

Menschen mit erarbeiteter Sicherheit zeigen in der Elternschaft ähnliche Verhaltensweisen wie kontinuierlich sichere Eltern. Sie sind empathisch, stimmen sich auf die Bedürfnisse ihrer Kinder ein und unterstützen deren Entwicklung. Sie haben Strategien erlernt, durch die sie sich selbst beruhigen können und sind in der Lage z.B. den Partner um Hilfe zu bitten.

 

Auch in romantischen Beziehungen können sie gesunde Muster entwickeln, Vertrauen aufbauen und ein Gleichgewicht zwischen Nähe und Autonomie finden (dem Grundkonflikt in jeder Beziehung).

 

Sogar in der Berufswelt können Führungskräfte, die sich in der Tiefe mit ihren Bindungserfahrungen auseinandergesetzt haben, durch die erarbeitete Sicherheit für ihre Mitarbeiter ein vertrauensvolles und Potenzial-reiches Umfeld schaffen, in dem sich die Menschen gesehen und unterstützt fühlen und auf gesunde Weise Leistungsbereitschaft und Erfolg leben.

 

Obwohl erarbeitete Sicherheit viele positive Veränderungen ermöglicht, können die emotionalen Narben unsicherer Bindungserfahrungen bestehen bleiben. Studien zeigen, dass Menschen mit erarbeiteter Sicherheit tendenziell anfälliger für depressive Symptome sind als jene mit kontinuierlicher Sicherheit. Dennoch bietet erarbeitete Sicherheit einen bedeutenden Schutzfaktor für das psychische Wohlbefinden und verbessert die Lebensqualität erheblich.

Der "sichere Hafen" in der Therapie bietet die optimale Grundlage

Die Entwicklung eines erarbeiteten sicheren Bindungsstils erfordert emotionale Unterstützung und die Bereitschaft, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Es ist wichtig, negative Selbstwahrnehmungen zu hinterfragen, alte Verhaltensmuster zu durchbrechen und sich auf neue Erfahrungen einzulassen.

 

Eine längerfristige tiefenpsychologische und bindungsorientierte Therapie ist hier besonders hilfreich, da sie Zeit bietet, eine vertrauensvolle Beziehung zu einem sicheren Therapeuten aufzubauen und alte Bindungsmuster zu verarbeiten. Die Therapeutin oder der Therapeut fungieren in dieser Zeit als „sicherer Hafen“, ähnlich wie es eine primäre Bezugsperson tut, und helfen, negative Erlebnisse mitauszuhalten, Gefühle und Körper differenzierter wahrzunehmen und schwierige Situationen neu zu bewerten. Zug um Zug kann sich so ein stabiles Selbst entwickeln und es kann sich – manchmal zum ersten Mal im Leben – ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit einstellen.

 

Der Prozess der erarbeiteten Sicherheit zeigt, dass Veränderung möglich ist. Mit genügend Verständnis, Unterstützung und bewusster Arbeit können wir den Schleier der Vergangenheit lüften und mit einer neu eingefärbten Brille neugierig, vertrauensvoll und lebensfroh in die Welt schauen.

 

Um in Zukunft gesunde Beziehungen zu führen – sowohl zu uns selbst als auch zu anderen.

 

Wenn Sie an Ihren Bindungsmustern oder Ihrer Beziehungsdynamik arbeiten möchten, rufen Sie mich gerne an unter 0151 - 257 807 63. Ich freue mich auf Sie!