Ein Espresso-Gespräch mit Stephanie Bein, einer Münchner Apothekerin mit Visionen.
Uta Siebert: Frau Bein, Sie sind Unternehmerin und haben vor ca. fünf Jahren die Engel-Apotheke in der Münchner Innenstadt als Pächterin übernommen. Sie sind mit Ihrem Konzept der Mitarbeiterführung sowohl menschlich als auch wirtschaftlich sehr erfolgreich. Woher nehmen Sie Ihre Ideen?
Stephanie Bein: Dazu möchte ich zunächst von meiner Familie erzählen. Ich bin die älteste von fünf Schwestern. Meine Eltern sind Maschinenbauer und haben ihr Unternehmen schon früh anders strukturiert. Unser Wohnhaus stand auch auf dem Grundstück der Firma und so war irgendwie alles eins. Morgens war es ganz normal, dass am Frühstückstisch nicht nur die Familie sitzt, sondern auch Mitarbeiter meiner Eltern.
US: Ach? Alle Mitarbeiter?
SB: Nicht alle, aber die, die halt Lust hatten. Die Firma war meine Heimat, dieser Geruch nach Öl und nach Schweißgeräten, das ist für mich wie nach Hause kommen. Schon als Neunjährige hatte ich den Wunsch, die Firma übernehmen.
Meine Eltern haben uns relativ frei aufwachsen lassen. Mein liebstes Hobby war Reiten und ich war nachmittags gerne im Pferdestall. Nach der Realschule ging es darum, welche Ausbildung macht man. Zunächst habe ich in meinem Heimatort in der Apotheke ein Praktikum gemacht. In der Apotheke hat mich die Vielschichtigkeit fasziniert. Ich habe dann neben der Schule dort gejobbt, geputzt und den Wareneingang gemacht.
US: Und wahrscheinlich alles von Pieke auf gelernt. Regale einräumen, etc.?
SB: Ja, genau. Meine Eltern haben mir dann geraten, nach der Realschule doch auf dem Gymnasium weiterzumachen. Ich war gut in der Schule, hatte aber keine Ambitionen Abitur zu machen, da dies bei uns nicht üblich war. Auch während der Gymnasialzeit habe ich nebenher weiter in der Apotheke gearbeitet.
US: Da sind Sie ja ganz langsam in Ihren Beruf hineingewachsen.
SB: Das war auch gut so. Ich war sehr introvertiert, habe mich gescheut, mit Fremden zu sprechen. Nach meiner Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin (PTA) in Darmstadt wollte ich zunächst in die Forschung gehen. Doch dann habe ich während des Praktikums und der Ausbildung meine Leidenschaft entdeckt, mit Menschen in Kontakt zu treten. Dadurch habe ich den Mut gefasst, mich für das Studium der Pharmazie anzumelden und obwohl ich nicht die beste Abiturnote hatte, habe ich an der Uni in Marburg einen Platz bekommen.
Während des Studiums habe ich weiter in der Apotheke gearbeitet und wollte im Anschluss in eine große Apotheke wechseln, um zu lernen, wie die unternehmerischen Abläufe in einem größeren Betrieb funktionieren.
US: Und wie ging es nach dem Studium weiter?
SB: Zunächst habe ich drei Jahre als Vertretung in Apotheken in Deutschland und der Schweiz gearbeitet und nach einer Promotionsstelle gesucht. Während dieser Zeit habe ich meinen Vater auf einen Kongress für termitensicheres Bauen in Dubai begleitet. Sein Unternehmen beschäftigte sich zu dieser Zeit mit Vorratsschutz, also Verfahren, durch die man z.B. Getreidesilos vor dem Eindringen von Ungeziefer, Pilzen, etc. schützt. Auf diesem Kongress fand ich, durch Gespräche mit verschiedenen Leuten, ein Promotionsthema aus dem urbanen Gartenbau: Die Entwicklung eines UV-Schutz-Pulvers für Pflanzen, das die Triebe vor der Sonne schützt, wenn sie aus dem Treibhaus kommen. Für die Promotion wollte ich nach Genf und Berlin gehen, aber das hat schlussendlich nicht geklappt. Dann erhielt ich einen Anruf von einer Freundin, die für ein paar Monate auf Reisen gehen und mich für ihre Vertretung in einer Apotheke in München gewinnen wollte. Gleichzeitig bekam ich die Nachricht, dass wieder ein neuer BWL-Studiengang in Bayreuth losgeht und da mich die unternehmerischen Zusammenhänge schon immer interessiert haben ging also wieder zurück nach München und habe nebenbei den MBA in Health Care Management abgeschlossen, das ist Betriebswirtschaft für das Gesundheitswesen.
Im Studium bekam ich dann die ersten Impulse, Unternehmensführung anders zu sehen. Durch das Verständnis der Balanced Score Card, dieses Medium, mit dem man den Erfolg eines Unternehmens auf verschiedenen Ebenen kontrollieren kann, habe ich ein großes Interesse an der Ursache-Wirkung-Betrachtung entwickelt: Wenn die Mitarbeiter fachlich, persönlich und im Umgang und in der Kommunikation miteinander gut ausgebildet sind, sind die Kunden zufriedener und mein Betriebsergebnis steigt. Diese Logik war für mich wie eine Erleuchtung und der Startpunkt, anders zu denken.
"Ich wollte die Möglichkeit haben, mit Mitarbeitern und Kunden noch intensiver in den Austausch zu gehen."
Während des MBA-Studiums habe ich ja auch wieder Vollzeit als Apothekerin gearbeitet - in diesen fünf Jahren in der Apotheke habe ich die Abläufe genau analysiert: Warenkreislauf, Lagerhaltung, Kundenansprache, optimale Beratung - die wichtigsten Strukturen eben. Das war alles sehr hilfreich und wichtig für mich, gleichzeitig habe ich gemerkt, dass mir etwas fehlt. Nämlich die Möglichkeit, kreativ zu arbeiten, neue Ideen einzubringen und umzusetzen, mit Mitarbeitern und Kunden noch intensiver in den Austausch zu gehen. Diese Erfahrungen haben meinen Wunsch, eine eigene Apotheke zu führen, bestärkt.
In dieser Zeit entstand in mir ein Bild, wie ich meine Apotheke organisieren würde und zwar als Gegenentwurf zu all den Beispielen, die ich über die Jahre gesehen habe und die mir nicht gefallen haben. Ich bekam dann das Angebot in der Münchner Innenstadt eine Apotheke zu pachten und so die Möglichkeit, mein Modell anzuwenden.
US: Und was machen Sie nun anders als andere Apotheken?
SB: Mein Konzept hat viele Facetten: ich stelle nur Mitarbeiter ein, die mit Leidenschaft ihren Beruf ausüben. Jeder Kunde soll optimal beraten werden und mit einem Lächeln im Gesicht unsere Apotheke verlassen ... und natürlich auch wiederkommen.
Wenn zum Beispiel ein Kunde nach Aspirin verlangt, ist es mir wichtig weiter zu fragen. Wofür wird das Schmerzmittel benötigt? Ist es akut? Wenn ja, bieten wir einen Stuhl und ein Glas Wasser an, damit der Kunde die Tablette sofort nehmen kann. Wenn er das Aspirin aber vielleicht in einen Urlaub z.B. mit Ziel Asien oder Zentralafrika, mitnehmen möchte, rate ich ihm eher zu Ibuprofen oder Paracetamol, da die blutverdünnende Wirkung des Aspirins in den Regionen, in denen das Denguefieber vorkommt, nicht günstig ist.
Außerdem habe ich mit meinem Team alle Prozesse optimiert. Wir haben als Beispiel den Standort unserer Visitenkarten verändert. Vorher war immer ein Mitarbeiter im Weg, wenn man eine Karte brauchte. Der neue Standort der Karten macht es leichter. Manchmal sind es solche Kleinigkeiten, die geändert werden und gleichzeitig den Arbeitsalltag verbessern.
Dann ist mir die Gesundheit meiner Mitarbeiter sehr wichtig. Dabei geht es mir nicht nur um die Leistungsfähigkeit, sondern auch um ihre Zufriedenheit.
Eine weitere Komponente ist in dem Zusammenhang, dass ich gerne möchte, dass sich meine Mitarbeiter weiterentwickeln - auf fachlicher Ebene genauso wie auf persönlicher. Das schließt auch unsere Zugehfrau mit ein, die z.B. einen Sprachkurs macht. Und natürlich arbeiten wir alle gemeinsam intensiv am Teambuilding: Wie können wir wertschätzend miteinander umgehen, wie kommunizieren wir klar und aufrichtig und wie leben wir unsere Feedbackkultur.
Des Weiteren haben wir keine Kundenbonuskarte. Ich finde diese Abhängigkeit, die da erzeugt wird, nicht gut. Wir wollen durch unsere Beratungsleistung überzeugen. Die Qualität im Umgang mit den Kunden ist für mich der Schlüssel zum Erfolg. Ein anderer ist unsere Arbeitsverteilung im Team: Im Prinzip macht bei uns jeder alles nach einem rollierenden Prinzip. Alle sieben Wochen bin ich z.B. dran mit Backoffice: Ich nehme die Ware an und verbuche sie, gehe ans Telefon, bearbeite die Post, liefere Medikamente aus. Dieses System hat zur Folge, dass alle Mitarbeiter einen guten Überblick über die Abläufe im Unternehmen haben und dass alle Prozesse einfach, schnell und leicht sind.
Wichtig ist mir auch, dass im Team möglichst viele unterschiedlicher Charaktere vertreten sind: mein Team soll „bunt“ sein.
US: Was meinen Sie mit bunt?
SB: Zur Erklärung: Es gibt das Vier-Farben-Persönlichkeitsmodell DISG. Hierbei steht jede Farbe - rot, grün, gelb, blau - für einen bestimmten Grundtypus. Da gibt es die einen, die gerne Dinge konsequent abarbeiten - also die Grünen. Oder die, die gerne sehr genau arbeiten - das sind die Blauen. Und dann gibt es wieder Menschen, die sehr kreativ sind - nach DISG die Gelben. Und schlussendlich die Roten, die gerne die Führung übernehmen.
Das Team, das ich übernommen habe, war nach diesem Vier-Farben-Modell sehr grün. Dann hat sich eine neue Kollegin beworben, die viele rote Anteile hatte und das Team war skeptisch. Ich habe mich für diese Mitarbeiterin entschieden, weil ich der Überzeugung bin, dass Vielfalt im Team wichtig ist. Für das bestehende Team war dieser Impuls heftig, denn Strukturen gerieten ins Wanken, Aufgaben wurden neu verteilt und auch die Kommunikation wandelte sich. Das war eine spannende Phase mit vielen Veränderungen - und großartigen Entwicklungen einzelner Mitarbeiter und auch des gesamten Teams. In diesem Prozess haben wir uns erstmals Hilfe von außen geholt. Unser Coach - eine Frau und auch Pharmazeutin - begleitet uns auch noch heute. Sie selbst und ihre Impulse werden von meinen Mitarbeitern und mir sehr geschätzt.
Ich habe selbst eine Trainer- und Coach-Ausbildung gemacht, nicht um in dem Beruf zu arbeiten, sondern um zu lernen, was für mein Unternehmen alles möglich ist.
US: Und was machen Sie in Bezug auf Coaching noch alles möglich?
SB: Ich habe mir bewusst einen Coach gesucht, der die Inhalte unserer Arbeit versteht. Sie kommt alle 3-4 Wochen zu uns, um mit uns zu arbeiten. Darüber hinaus kann jeder unseren Coach auch für private Themen buchen. Das Privatleben und die Arbeitswelt sind ja nicht isoliert voneinander zu sehen und persönliche Konflikte zuhause wirken sich auch auf das Wohlbefinden des Einzelnen und damit auf die Dynamik im Team aus. Da kann ein Coach auch gut helfen.
Mit den Mitarbeitern und ihr führe ich einmal im Jahr Mitarbeitergespräche und um die Umsetzung kümmern sich dann Coach und Mitarbeiter eigenständig. Diese Gespräche folgen einem bestimmten Ablauf nach der Speedbacking-Methode, bei der man sich zu Beginn eines Gespräches ca. eine Minute lang gegenseitig positives Feedback gibt: zum Einstieg sage ich also all die positiven Sachen, die ich an meinem Mitarbeiter toll finde und erhalte mein Feedback. Danach formuliere ich meine Wünsche in Bezug auf Dinge, die ich gerne anders hätte und frage nach dem allgemeinen Befinden. Alle Inhalte sind natürlich vertraulich. Auch spreche ich an, wenn ich Förderungsmöglichkeiten sehe. Im Anschluss formuliert der Mitarbeiter seine Wünsche und Ideen und am Ende kommen meist sehr dynamische Gespräche zustande. Ich gehe auch auf Fortbildungswünsche ein und habe sogar eine Fortbildungspflicht festgelegt. Diese ist in persönlich, fachlich und kommunikativ aufgeteilt. Für das Persönliche ist unser Coach da. Hier können aber auch andere Angebote wahrgenommen werden. Mir ist positive Kommunikation sehr wichtig. Ich denke gerne in Lösungen und nicht in Problemen sowohl was die Belange der Kunden angeht, aber auch die meiner Mitarbeiter.
Außerdem plant unser Coach mit uns Teambuilding-Wochenenden oder Projekte, die sich die Mitarbeiter wünschen. Des Weiteren gehört Training-on-the-Job zu ihren Aufgaben: sie beobachtet das Team bei der Arbeit und gibt direktes Feedback zum Umgang mit den Kunden. Da sie Apothekerin ist, gibt sie auch ergänzende Tipps zur fachlichen Beratung. Dabei agiert sie stets bedürfnisorientiert. Wenn ein akutes Thema - z.B. ein Konflikt im Team oder der Wunsch nach Entspannungstechniken - aufkommt, hat dies Vorrang.
Ich selbst tausche mich mit ihr einmal im Monat für ca. zwei Stunden aus. Zuerst war das nur bezogen auf unternehmerische Inhalte und mittlerweile auch für private Themen.
US: Das ist sehr professionell und fürsorglich strukturiert. Und wer trägt denn die Kosten? Haben Sie da ein Budget?
SB: Als ich die Apotheke übernommen habe wurde mir geraten, ich solle für diese Art der Aufwendungen ca. 10.000 EUR ansetzen. Da dachte ich noch „oh Gott“. Mittlerweile ist jeder Cent, den ich in die persönliche und fachliche Fortbildung stecke, die beste Investition, die ich machen kann.
"Meine Vision ist, dass alle Mitarbeiter nach einem stressigen Tag zufrieden nach Hause gehen."
US: Sie sorgen sehr gut für sich und Ihr Team und stellen sich und Ihren Mitarbeitern eine kompetente Sparringspartnerin zur Seite.
SB: Mir ist es wichtig, dass sich mein Team wohl fühlt. Bei aller Fürsorge für mein Team bin ich gleichzeitig Unternehmerin. Und deswegen ist es für mich extrem wertvoll, wenn Mitarbeiter lange im Unternehmen bleiben.
Es dauert gut anderthalb Jahre bis ein neuer Mitarbeiter auf dem 100%igen Wissenstand der Kollegen ist. Unzufriedene Mitarbeiter, die bereits innerlich gekündigt haben, kosten mich unternehmerisch viel Geld. Ich verstehe nicht, dass das in den Unternehmen nicht mehr berücksichtigt wird. Wenn ich meine Einstellung dazu in meinem Freundeskreis und auch befreundeten Unternehmern erzähle, ernte ich meist nur fragende Blicke.
US: Ihre Haltung ist wirklich bewundernswert. Und trotz des Gegenwinds aus dem Freundeskreis halten Sie an Ihrer Linie fest. Wo holen Sie sich denn Anregungen für Ihren Weg?
SB: Mir wurde ein Buch empfohlen, das mich sehr inspiriert hat: Big Five For Live. Als ich das gelesen hatte, dachte ich zunächst „Was bin ich für ein furchtbarer Chef.“, was ich wahrscheinlich gar nicht war. Aber die Idee, dass man Leute einstellt, die Ambitionen haben und wirklich mit großer Leidenschaft ihrem Beruf nachgehen, hat mich überzeugt. Mir ging es ja auch so. Die Selbständigkeit hat mich so zufrieden gemacht, ja sogar beseelt und beflügelt. Deshalb achte ich darauf, die Mitarbeiter nach ihren Talenten einzusetzen. Die grundlegenden Arbeiten machen natürlich alle gleichermaßen. Aber bei Sonderaufgaben achte ich darauf, dass z.B. die Leute, die sehr genau sind, im Labor tätig sind. Meine Vision ist, dass alle meine Mitarbeiter auch nach einem stressigen Tag zufrieden nach Hause gehen.
US: Das klingt ja wie im Mitarbeiter-Paradies. Sie werden von Ihnen gesehen und nach ihren Talenten eingesetzt. Das ist ein sehr schönes Menschenbild, das Sie da vermitteln. Sie begegnen den Mitarbeitern auf Augenhöhe und stellen bei Problemen Hilfe zur Verfügung. Da will doch kein Mitarbeiter jemals wieder weg, oder? Wie hoch ist denn die Fluktuation?
SB: Das ist schwierig zu sagen. Ich habe schon Mitarbeitern gekündigt, die leider nicht ins Team gepasst haben und gleichzeitig haben Mitarbeiter gekündigt, die mit meinem unternehmerischen Konzept nicht klargekommen sind. Aber das sind Erfahrungen, die zur Selbständigkeit dazu gehören. Ich hatte auch schon Kündigungen, weil sich jemand woanders hin verliebt hat. Als Apotheker sucht man sich den Ort aus, wo man leben möchte und in zwei Minuten hat man einen Job. Das Team, wie es jetzt ist, wächst.
US: Und wie groß ist Ihr Team insgesamt?
SB: Mit mir sind es 15.
US: 15. Das ist aber schon eine ordentliche Größe. Wie klappt es denn mit der Kommunikation untereinander?
SB: Wir haben eine Feedbackkultur bei uns eingeführt, die auch gut gelebt wird. Ich beobachte und spreche an, wie ein Verhalten auf mich wirkt und was mein Wunsch ist. Zuspätkommen zum Beispiel. Da sage ich: „Mir ist Pünktlichkeit wichtig und Verlässlichkeit und ich bitte Sie früher aufzustehen oder Bescheid zu geben, wenn Sie sehen, dass Sie es nicht pünktlich schaffen.“
US: Sie geben also bei Bedarf direktes Feedback und äußern Ihre Wünsche. So weiss Ihr Team woran es ist. Gibt es noch weitere Angebote, die Ihr Team nutzen kann?
SB: Eine weitere Komponente für ist für mich ein gesundheitsförderndes Führen, denn wir haben einen sehr anstrengenden Beruf. Daher beinhaltet das Fortbildungsangebot körperorientiertes Coaching. Da gehen manche zu einer Personal Trainerin und machen Yoga, die anderen machen TRX-Training in einem physiotherapeutischen Zentrum, wieder andere machen Rolfing oder Physiotherapie. Eigentlich wollten wir ein kleines Fitnessstudio in der Apotheke einrichten, aber der Platz war nicht vorhanden. Außerdem achte ich darauf, dass z.B. jeder seinen Lieblingsstuhl benutzen kann. Wir haben verschiedene Modelle, die dann je nach Bedürfnis von den Mitarbeitern für die sitzenden Tätigkeiten hin und hergeschoben werden. Des Weiteren hat sich das Team ein Stimmtraining gewünscht, da wir ja den ganzen Tag mit den Kunden sprechen. Hier kommt nun 3-4 mal im Jahr eine Logopädin und trainiert mit uns unsere Stimmbänder. An den Terminen brummt und summt und hechelt es dann in der Apotheke. Bei einer Session hat die Logopädin ein Schallwellengerät für die Tiefenmassage mitgebracht. Das kam so gut an, dass ich eins für uns gekauft habe und nun wird dies zwischendurch immer wieder genutzt oder auch, wenn die Leute vom Sport kommen.
Ich finde es immer gut, dem ganzen Team meine Wertschätzung zu zeigen. 3-4 mal im Jahr organisieren wir deshalb kleine Events - von jemandem aus dem Team organisiert - bei dem die anderen nicht wissen, wohin es geht oder was passiert. Wir bekommen von den jeweiligen Organisatoren einen Hinweis, wie z.B. festes Schuhwerk, bequeme Klamotten, hungrig oder gesättigt, etc. und dann geht es los. Da waren schon Kinobesuche, Stadtführungen oder Siebdruckkurse dabei.
Darüber hinaus gibt es noch Team-Abende, an denen eine Ideenschmiede stattfindet. Da besprechen wir, was in den letzten vier Wochen nicht so optimal lief und überlegen, was wir verändern können, wie z.B. das Thema Visitenkarten. Es ist für mich ein großer Schatz, die Ideen meiner Mitarbeiter zu hören.
US: Häufig wissen ja die Mitarbeiter viel besser, wo es hakt und was verändert werden muss. Gerade im Tagesgeschäft. Wenn man dies hört und schätzt, kann sich der Mitarbeiter selbstwirksam erleben und das wiederum fördert die Bindung an das Unternehmen.
SB: Das stimmt. Manchmal sind es Banalitäten, die aber täglich Stress produzieren.
"Im Prinzip gestalte ich es für meine Mitarbeiter so, wie ich es selbst als Arbeitnehmer gerne gehabt hätte."
US: Nun haben Sie uns schon viel über all die Programme und Angebote erzählt, die Ihre Mitarbeiter wahrnehmen können. Wie sieht es denn mit Ihrem unternehmerischen Erfolg aus?
SB: Ich bin zufrieden. Seit ich die Apotheke übernommen habe, hat sich der Umsatz verdoppelt.
Jede Investition, die ich getätigt habe, war im Prinzip schon nach kurzer Zeit amortisiert. Ich mache das daran fest, dass ich Leute einstelle, die wirklich Ambitionen und Leidenschaft für den Beruf mitbringen. Und ich unterstütze das bzw. motiviere sie dazu, sich mit ihrem ganzen Engagement einzubringen.
Im Prinzip gestalte ich es für meine Mitarbeiter so, wie ich es selbst als Arbeitnehmer gerne gehabt hätte. Dieser Wohlfühlfaktor ist einfach unbezahlbar. Für den Sommer haben wir eine Eismaschine angeschafft, weil es trotz Innenstadtlage keine Eisdiele in der Nähe gibt. Dann haben wir einen Thermomix, mit dem jeder machen kann, was er will. Auch mit nach Hause nehmen und dort kochen. Wir haben regelmäßige Obstlieferungen, eine Nuss-Bar, einen Entsafter und auf welchen Wegen auch immer findet die Schokolade allein ins Haus (lacht). Das alles für meine Mitarbeiter und für mich zu planen macht mir Riesenspaß. Sie machen aber auch viel mit mir mit. Unser aktuelles Projekt ist „Story Telling“. Wir wurden von einer Journalistin interviewt und haben unsere individuellen Geschichten rund um unsere Apotheke gesammelt. Ich bin gespannt, was da rauskommt. Vielleicht stellen wir das auf die Internetseite oder binden es als Buch. Mal sehen.
US: Und schon wieder sind Sie so kreativ. Mir ist aufgefallen, dass Sie in ihrem Schaufenster Kunst ausgestellt haben und keine Werbung für Kosmetik oder Medikamente, wie man es sonst üblicherweise sieht. Was hat es damit auf sich.
SB: Ich mag Kunst und habe kurz nach dem Studium angefangen, Geld in Kunst zu investieren. Zu Beginn waren es ca. 50 Euro im Monat, die ich angespart habe, um mir dann etwas zu kaufen. Mittlerweile ist es ein bisschen mehr geworden. Ich mag gerne nach draußen schauen und dann stört es mich, wenn in der Blickachse alles vollgestellt ist. Dass wir dadurch als Apotheke nicht so sichtbar sind, finde ich nicht so schlimm. Wer uns braucht, findet uns, auch ohne Medikamentenwerbung im Schaufenster. Zum Beispiel hatten wir vor Kurzem eine Lichtinstallation ausgestellt.
Mein absolut größter Wunsch ist, dort eine Nachtgalerie für Digitalkunst zu machen. Auf einer Ausstellung in München habe ich ein Video von der Band Kraftwerk gesehen, in dem Tabletten in Gefäße fallen, sprudeln und Kapseln wild durch die Gegend fliegen. In dem Moment dachte ich, das Video hätte ich gerne in meiner Apotheke laufen. Ich stelle mir vor, dass nachts vor den Regalen in der Apotheke Leinwände runterfahren, man durch das Schaufenster Videokunst laufen sieht und draußen fährt die Nachttram vorbei.
US: Das klingt ja fast schon avantgardistisch. Gibt es noch mehr Kunst in der Apotheke?
SB: Hinter dem Tresen gibt es in jeder Apotheke das Regal mit den sogenannten sichtbaren Packungen, die häufig nachgefragt werden. Die haben wir nach Farben sortiert und nicht wie sonst, z.B. Schmerzsalbe zu Schmerztablette. Wenn ein Vertreter gerne dort sein Produkt ausgestellt haben möchte und es passt farblich nicht rein, wandert es ins Lager. Die einzige Ausnahme ist im Frühjahr, wenn die Allergiepräparate für 2-3 Monate dazu kommen. Die stellen wir zusammen, aber dann auch in sich nach Farben geordnet.
"Wir konzentrieren uns darauf, gute Beratungsleistung zu bieten und freuen uns, wenn unsere Kunden das schätzen."
US: Ja, was sagen denn die Pharmavertreter dazu?
SB: Oh, da bin ich streng, was die Pharmavertreter anbelangt, schließlich bin ich Betriebswirtin. Wir beziehen die Ware nur bei einem Großhändler in München, von dem wir ca. achtmal am Tag eine Lieferung bekommen. Der Direkteinkauf bei den einzelnen Firmen ist ein großer Aufwand, nur um dann am Ende X% Rabatt zu bekommen. Die Pflege der Daten im Computer benötigt Zeit und die geht mir von der Beratungsleistung ab. Allein den ganzen Paketdiensten die Türe aufzumachen und die Kartonagen zu entsorgen ist Wahnsinn. Der Großhandel nimmt seine Verpackungen wieder mit. Daher möchte ich keine Rabatte von den einzelnen Pharmavertretern bekommen und habe auch keine Kundenbindungskarten mit Punktesystemen o.ä. Alles was mit Mehraufwand verbunden ist, aber keinen wirklichen Mehrnutzen bringt, wird nicht gemacht. Wir konzentrieren uns darauf, gute Beratungsleistung zu bieten und freuen uns, wenn unsere Kunden das schätzen.
US: Bei Ihnen wird aber auch alles optimiert, oder?
SB: Das jetzt nicht und natürlich liegt auch im Einkauf der Gewinn. Aber für mich hat es eben noch eine zweite Dimension, bei der ich mich immer frage: was macht denn mehr Arbeit? Manche kaufen bei der Firma XY direkt ein, sobald es ein Prozent günstiger ist. Das ist mir zu viel Aufwand. Und ein Prozent bei 1.000 Euro sind zehn Euro. Wenn sich nun aber ein Mitarbeiter eine Stunde mit der Jagd nach den Rabatten beschäftigt, damit wir am Ende zehn Euro „gespart“ haben, steht der zeitliche und finanzielle Aufwand für mich in keinem Verhältnis.
US: Was machen Sie denn als Unternehmerin, um gesund zu bleiben? Von Ihrer Kollegin, die Sie als Coach unterstützt, haben Sie uns ja schon ein bisschen erzählt.
SB: Ich habe am Anfang sehr viel gearbeitet. Sieben Tage, 14 Stunden, das war normal. Das war für mich aber auch in Ordnung. Ich brauchte die Sicherheit, dass auch alles gemacht wird und schlussendlich war ich mit dem Gerüst zufrieden. Zu dieser Zeit dachte ich auch manchmal an eine Übung, die ich in der Trainer- und Coachingausbildung gelernt hatte, bei der ich zehn Minuten am Tag nichts tun sollte und dachte: Nein, das geht grad gar nicht! (lacht). Mittlerweile fällt mir das Abschalten leichter und ich habe auch mit Yoga angefangen. Tatsächlich gönne ich mir unter der Woche freie Tage und das klappt auch zu 90 Prozent. Ansonsten habe ich einen netten Freundeskreis, Kunst und Kultur und die Musik entdecke ich gerade wieder.
US: Da haben Sie viele Ressourcen in Ihrem Umfeld, aus denen Sie Kraft ziehen können.
SB: Ich bin jemand, der auf Stress mit noch mehr Aktivität reagiert. Das beobachte ich gerade und finde es sehr spannend. Es gibt Wochen wo ich keinen Abend vor eins, zwei Uhr nachts zu Hause bin und schöpfe daraus sehr viel Energie. Doch dann fehlt mir irgendwann der Schlaf und als Folge gibt es Wochenenden, wo ich mich komplett abkapsele. Ich habe Wellness für mich entdeckt und habe mir in manch einem Jahr diese Entspannung jedes fünfte, sechste Wochenende gegönnt. Ab und zu genieße ich auch mal Urlaub alleine, wo ich dann nur essen, schlafen und spazieren gehen kann. Auch gibt es Tage am Wochenende wo ich einfach nicht erreichbar bin. Meine Mitarbeiter haben mich im Urlaub bisher erst zweimal angerufen. Wir haben die Vereinbarung, dass ich sie nicht in ihrem Urlaub anrufe und sie tun das auch nicht. Wenn es brennt rufen sie hoffentlich erst die Feuerwehr. Ansonsten gibt es nichts, was nicht auch warten kann. Das verschafft mir eine große innere Freiheit. Meine Eltern sagen mir dann manchmal: „Stephanie, ruf‘ Dein Team doch mal an. Was machen die denn?“. Dann sage ich: „Glücklich sein, hoffentlich.“
US: Von Ihrer unternehmerischen und menschlichen Weitsicht kann man sich wirklich eine Scheibe abschneiden. Was haben Sie denn so für die Zukunft geplant?
SB: Tatsächlich würde ich gerne so etwas wie eine Lehrapotheke aufbauen, in die auch andere Unternehmen ihre Mitarbeiter schicken können. Bei mir kann ich nur unter großem Stress ausbilden, da das Niveau so hoch und das Tagesgeschäft so anspruchsvoll ist. Allerdings bin ich skeptisch, ob andere Apotheken da mitmachen würden. Die Investition pro Mitarbeiter wäre nicht gering, allerdings bekämen sie auch top ausgebildete Mitarbeiter zurück.
Und dann sind auch schon Kollegen auf mich zugekommen, die mir ihre Apotheke zum Kauf anbieten. Eine bestimmte hätte ich schon ganz gerne.
Darüber hinaus sagt mir meine Yogalehrerin ständig: „Schreib‘ doch mal ein Buch über Deine Methode. Trage das in die Welt hinaus.“
Mal sehen, was noch so kommt. Wenn eine Tür zugeht, gehen mehrere auf.
US: Frau Bein, herzlichen Dank für das Gespräch.
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